Wie kann man ohne Zertizierung nachhaltig sein?
Dr. Alexandra Hildebrandt hat das Dilemma der Möbelmacher in Ihrem Text für Haufe auf den Punkt gebracht: Außer unserem eigenen Anspruch an regionale Wirtschaftskreisläufe und Nachhaltigkeit erfüllen wir keine Normen, sind nicht zertifiziert und interessieren uns kein bisschen für FSC (Forest Stewartschip Council). Denn in unserer kleinen Welt der Regionalität, die mit maximal 100 Kilometer Entfernung definiert ist, greifen diese ganzen Werkzeuge nicht und wir wollen uns von diesen auch nicht greifen lassen.
Denn wer sollte von Außen kommen und uns bestätigen, dass wir unser Holz im Wald außen rum einkaufen, wenn wir stattdessen jedem, den es interessiert, auch unsere Buchhaltung zeigen können? In unserem Gebäude kann sich persönlich jeder davon überzeugen, dass unser Brauchwasser aus der Zisterne kommt, dass wir außer unserem Abfallholz keine andere Wärmequelle brauchen und der Strom unserer Photovoltaikanlage ist sowieso für alle sichtbar im Netz verlinkt. Alles andere beschrieben wir ehrlich im Nachhaltigkeitsblog, im Newsletter oder im Jahrbuch und zum Entsetzen aller Nachhaltigkeitsberater, Coaches und was sonst noch mit Nachhaltigkeitsberatung Geld verdient, haben wir (fast) alle Jurys von Nachhaltigkeitpreisen überzeugt, sogar die des Deutschen Nachhaltigkeitspreises.
Wir haben das Glück, dass wir (bis jetzt) noch keine Auftraggeber haben, die Siegel, Zertifizierungen oder Iso-Normen fordern, also freuen wir uns am gegenseitigen Vertrauen zwischen Hersteller und Kunden und veröffentlichen jährlich unseren aktuellen "Bretterbericht" über unsere regionale Waldschöpfungskette.
Der Haufe Arikel
Auf dem Holzweg zu nachhaltigen Wirtschaftskreisläufen
News 02.09.2024 Regionales Wirtschaften
Dr. Alexandra Hildebrandt
Publizistin und Nachhaltigkeitsexpertin
Gibt es „nachhaltige“ Unternehmen, die – außer ihrem eigenen Anspruch - keine offizielle Norm erfüllen, keine „echte“ Zertifizierung besitzen und keinem zertifizierenden Verband angehören? Für „Die Möbelmacher“ könnte das zutreffen, denn der Fokus der Massivholzschreinerei liegt auf nachhaltigem Wirtschaften in der Region: Kurze Wege, heimische Hölzer und Langlebigkeit sind hier Gebote der ersten Stunde.
Vom Abenteurer zum Unternehmer
Als Abenteuer wird eine waghalsige Unternehmung mit ungewissem Ausgang bezeichnet. Ursprünglich steht der Begriff aber für eine ernsthafte Unternehmung von kultureller Bedeutung (die von einer ethischen Grundeinstellung getragenen Âventiuren der mittelalterlichen Ritterepik). Häufig ist er heute negativ belastet (Hebung des Adrenalinspiegels oder Sucht nach medialer Aufmerksamkeit). Abenteurer wie Arved Fuchs oder der Unternehmer herwig Danzer, Geschäftsführer Die Möbelmacher GmbH, stehen allerdings positiv zu dieser Bezeichnung. Aus ihren Unternehmungen sind Unternehmen hervorgegangen – Beruf und Berufung wurden eins. Durch die Erweiterung ihres Lebenshorizonts, der durch Abenteurer genährt wurde, können sie die Realität um sie herum mit bestechender Klarheit wahrnehmen, sind sie auch in der Lage, richtige Entscheidungen zu treffen und sich der Folgen ihrer Handlungen bewusst zu sein.
Danzer war leidenschaftlicher Kajakfahrer, wagte mit seinen Freunden gefährliche Passagen, unter anderem 1985 eine Erstbefahrung auf dem norwegischen Fluss Finna durch eine reißende Schlucht. Das war extremes Wildwasser. Hinzu kam das Drachenfliegen, bei dem er 1982 seinen langjährigen Geschäftspartner Gunther Münzenberg kennenlernte: einen Schreinermeister. Gemeinsam flogen sie zwischen Südfrankreich und Norwegen Drachen. Im selben Jahr gründeten sie in Hersbruck bei Nürnberg ihre ganzheitlich orientierte Möbelmanufaktur. Beide wurden eher zufällig zu Pionieren der Postwachstumsszene: „Aber nur, weil wir der einzige Handwerksbetrieb in der Nachhaltigkeitsbewegung waren. Denn eigentlich wissen alle Handwerker, welche Betriebsgröße für sie am besten geeignet ist, zumal man ja nicht immer Platz zur Vergrößerung hat. Jeder Handwerker will gern mehr Geld verdienen, aber niemand möchte deshalb unbedingt ins Unermessliche wachsen“, sagt herwig Danzer.
Bild: Die Möbelmacher GmbH Gewissenhafter Holzeinkauf ist für herwig Danzer wichtiger als „Nachhaltigkeits- und Regionalitätsgeblubber“.
Der Anfang von allem
Offiziell beginnt die Geschichte der Möbelmacher als baubiologisch, ökologische Schreinerei im Jahr 1988 – allerdings wurde der Grundstein schon viel früher gelegt: Der gebürtige Franke herwig Danzer (seit seiner Schulzeit mit kleinen „h“), Jahrgang 1962, war dem Material Holz von Kindesbeinen an verfallen. Bereits als 13-Jähriger begann er in der Waschküche seiner Mutter mit dem Bau von Möbeln. 1980, noch vor seinem Abitur, meldete er den Betrieb mit dem Namen „Spielratz“ als Spielzeugmanufaktur an und finanzierte sein Germanistik-, Soziologie- und Politikstudium in München mit Holzspielzeug, das Münchner Spielzeugläden ins Programm aufnahmen.
1997 wurde eine ökologisch konsequent ausgerichtete Werkstatt- und Verkaufshalle errichtet, sodass die Freunde und Geschäftspartner durch die großen Lagerflächen für Holz ihre Idee der absoluten Regionalität verwirklichen konnten. Seitdem wird garantiert, dass mindestens 95 Prozent Holz aus der Region verwendet wird. Zu einer wichtigen Aufgabe in der Anfangszeit gehörte es auch, den Kunden den Wert der Regionalität zu erklären, denn „was nützt eigene Konsequenz, wenn der Kunde darin keinen Kaufanreiz sieht?“
Die Firmenhalle zitiert architektonisch den Grundriss einer Basilika. So wurde „Platz geschaffen für die Absaugung der Holzbearbeitungsmaschinen, in der Holzreste zum Heizen des gesamten Betriebs zu Briketts gepresst werden. Außerdem wird aufgrund der oberen Fensterflächen unter Tageslicht gearbeitet. Die Akustik ist ausgezeichnet, sodass von Beginn an Lesungen und Konzerte für die Region hier abgehalten werden“, sagt Danzer. Die Fachzeitschrift DDS kürte die Halle übrigens zur „schönsten Werkstatt Deutschlands“.
Ökologische Fertigung und regionale Wirtschaftskreisläufe
Bild: Die Möbelmacher GmbH
Gearbeitet wird bis heute nur mit dem Massivholz, das ausschließlich mit Naturharzölen behandelt ist, aus der Region, mit maximal 100 km Transportweg. Gefertigt werden in Unterkrumbach Küchen und Möbel, aber auch Schlafzimmer, Schreibtische und Tische. Immer wieder werden auch nachhaltige Kompletteinrichtungen von Wohnungen, Häusern, Praxen oder Geschäftsräumen nachgefragt. Möbel aus dem Holz der Frankenalb stehen sogar in einem Designerhaus in Miami. Seit über zwei Jahrzehnten begleitet auch der Bund Naturschutz diese Art des regionalen Wirtschaftens. Aus Sicht des Vorsitzenden Richard Mergner ist dies ein doppelter Gewinn. „Die Möbelmacher, aber auch die Waldbauerngemeinschaft betreiben hier ein faires Miteinander, sodass über Generationen hinweg sowohl für die Ökologie als auch für die Ökonomie eine Win-Win Situation entsteht.“ Alle Bäume (Elsbeere, Eiche, Esche, Ahorn, Kirsche oder Buche) werden auf dem eigenen Gelände gesägt und mehrere Jahre im Außenlager getrocknet. Vor der Verarbeitung kommen sie nochmals in spezielle Trockenkammern, um sie auf die niedrige Luftfeuchtigkeit in beheizten Räumen vorzubereiten. Holz überzeugt durch ein breites Anwendungsspektrum und hat eine im Vergleich zu anderen Werkstoffen überzeugende Umweltbilanz. Für die Weiterverarbeitung wird nur wenig Energie benötigt. Auch mit den Produktionsabfällen können klimafreundliche Wärme und Strom erzeugt werden.
Die regionale „Waldschöpfungskette“ kennt keine Zertifizierung
„Warum soll man jedes Jahr einen neuen Bretterbericht über unsere Waldschöpfungskette schreiben, die seit fast 25 Jahren dieselbe ist?“, fragt herwig Danzer. Die Glaubwürdigkeit der Arbeit seines Unternehmens für die Holzwirtschaft in der Hersbrucker Alb im Besonderen und Nachhaltigkeit im Allgemeinen „belegen ein paar Zahlen zum Holzeinkauf besser als das übliche Nachhaltigkeits- und Regionalitätsgeblubber der Greenwasher auf der Suche nach ihrem ultimativen ‚Purpose‘“.
Als Danzers Unternehmenstätigkeit begann, mussten die Kriterien, nach denen die Arbeit ausgerichtet wurde, selbst formuliert werden. Auch das Bewusstsein für Ökologie und regionale Wirtschaftskreisläufe musste bei den Stakeholdern erst geschaffen werden, um mit der nachhaltigen Idee auch betriebswirtschaftlichen Erfolg zu haben. Im jährlichen „Bretterbericht“ im Nachhaltigkeitsblog veröffentlicht das Unternehmen seinen Holzeinkauf und viele Videos. Damit „würden wir uns gern als ‚Sinnfluencer‘ der Branche etablieren, aber dafür ist unser Modell des Selber-Sägens und -Stapelns wohl einfach zu anstrengend. Als Gegenwert bekommen wir aber nicht nur beste Holzqualität, sondern auch eine emotionale Beziehung zu jedem Brett, das wir schon mehrfach in der Hand hatten. Das ist wie der Unterschied von Supermarktbutter zu selbstgestampfter – vor allem geschmacklich“, so Danzer.
Gemeinsam mit der Sustainable Excellence Group ist es den Möbelmachern 2004 gelungen, verschiedene Aspekte der Nachhaltigkeit in die Überarbeitung des Qualitätsmanagement-Modells EFQM zu integrieren. Zusammen mit der Brauerei Neumarkter Lammsbräu, dem Hotel Schindlerhof und einer Abteilung der Telekom wurde die weltweit erste EFQM-Selbstbewertung nach dem Nürnberger Nachhaltigkeitsansatz durchgeführt. „Auch wenn kein Award angestrebt wird, hat diese Selbstbewertung zu einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess geführt“, so Danzer. Apropos Award: Die Möbelmacher sind Finalist des Deutschen Nachhaltigkeitspreises 2025.
Nachfolge: „Pflicht, für Team und Kunden die Zukunft zu regeln“
Herwig Danzer sieht es auch als seine Aufgabe, den Mitarbeitenden eine Perspektive zu geben. Deshalb ist er schon länger auf der Nachfolgersuche. „Auch wenn ich noch nicht in Joe Bidens Alter bin, halte ich es für meine Pflicht, für unser Team und unsere Kunden die Zukunft zu regeln, denn sie ist eine der wichtigsten Kriterien der Nachhaltigkeit“, so Danzer. Familienunternehmen, die keinen Nachfolger finden, sind gezwungen, ihre Geschäftstätigkeit einzustellen oder die Firma zu verkaufen. Dies führt nicht nur zu einem Verlust von Arbeitsplätzen, sondern auch zu einem Verlust von Fachwissen und Erfahrung, die wie hier über Jahrzehnte aufgebaut wurden. Langfristig wird auf diese Weise die Wirtschaftskraft und Innovationsfähigkeit Deutschlands geschwächt.
Bislang ist herwig Danzer nicht fündig geworden. Seit einiger Zeit ist er jedoch Mitglied der Online-Plattform „Switch“. Diese richtet sich an Familienunternehmen auf der Suche nach einer Nachfolge und funktioniert wie eine Dating-App: Die Benutzer erstellen Profile mit ihren Erfahrungen und Anforderungen und laden diese hoch. Ein Algorithmus findet Übereinstimmungen zwischen Firmeninhabern und potenziellen Nachfolgern aus anderen Unternehmerfamilien. Gibt es ein Match, kann Kontakt aufgenommen werden. Die Vernetzung erfolgt dabei nicht nur zwischen Firmen, die einen Nachfolger suchen, sondern auch zwischen der „alten“ und der „neuen“ Generation. Wer weiß, vielleicht werden auf diesem Weg regionale und nachhaltige Wirtschaftskreisläufe von engagierten Nachfolgern auf ein neues Niveau gehoben?
Dr. Alexandra Hildebrandt
Small is beautiful?
Das Buch ist alt, passt aber zu uns
Der Spruch „Small is beautiful“ stammt aus dem gleichnamigen Buch von E. F. Schumacher, das 1973 veröffentlicht wurde. Schumacher, ein britischer Ökonom, kritisierte in diesem Werk die vorherrschende wirtschaftliche Denkweise, die oft auf Wachstum und Konsum ausgerichtet ist. Er plädierte für eine menschenzentrierte Wirtschaft, die die Bedürfnisse von Gemeinschaften über die von Unternehmen stellt und die nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen betont. Der Titel des Buches und das zugrunde liegende Konzept wurden auch von Schumachers Lehrer Leopold Kohr inspiriert, der die Idee vertrat, dass kleinere, angemessene Technologien und Strukturen oft effektiver und wünschenswerter sind als große, zentralisierte Systeme. In seinem Werk argumentiert Schumacher, dass "klein" nicht nur eine praktische Dimension hat, sondern auch eine ethische und ästhetische Bedeutung, die den Menschen und ihre Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellt.
Diesem Gedanken fühlen wir uns verbunden.